München ist die Welthauptstadt des Bieres. Gästeführer Rudi Muschler weiß vieles über die Geheimnisse des beliebten Getränks – und welche Rolle es in der Stadt spielt. Ein Gespräch über die Geschichte des Münchner Bieres.
Herr Muschler, was war Ihre erste Begegnung mit dem bayerischen Bier?
Als Junge durfte ich meinem Vater am Wochenende oft eine Maß Helles von der Gassenschänke holen. Mit einem leeren Krug bin ich losgegangen und balancierte dann die volle Maß nach Hause. Als Achtjähriger das schwere Glas bis hoch zu uns in den vierten Stock hinaufzutragen war eine ganz schöne Herausforderung.
Entschuldigung, aber was ist bitte eine Gassenschänke?
Ja, die kennen Sie natürlich nicht mehr (lacht). Die Gassenschänke war üblicherweise einer normalen Wirtschaft angeschlossen und ist Ende der 60er-Jahre ausgestorben. Sie hatten meistens einen kleinen separaten Zugang. Durch ein kleines Fenster wurde dann hauptsächlich Bier verkauft.
Und dann?
Wurde sie durch den heutigen Getränkemarkt ersetzt. In der Nachkriegszeit jedoch ist noch niemand mit einem Träger Bier heimmarschiert – einfach auch, weil es für den Normalbürger schlicht viel zu teuer war.
Haben Sie als Junge auch mal von dem Bier probiert?
Natürlich! Als kleiner Junge habe ich schon den Schaum probiert – der war köstlich. Bier, Heimat und Bayern – das gehört für mich einfach zusammen.
Bier und München – schon immer eine erfolgreiche Paarung?
Zu Beginn der Stadtgeschichte eher nicht. In München wurde bis zum 16. Jahrhundert viel Wein getrunken. Herzog Wilhelm V. baute sogar Wein in der Wilhelmsburg an, einer der ehemals vier Münchner Residenzen. Das Klima war wohl etwas wärmer. Sonderlich gut war der Wein dennoch nicht. Es soll gesagt worden sein: „Essig wird woanders günstiger produziert.“
Wann schlug die Stunde des Bieres?
Um die Zeit der Stadtgründung Mitte des 12. Jahrhunderts wurde Bier in den privaten Hausbrauereien für den Eigenbedarf gebraut, dann von Klöstern und den nachfolgenden Münchner Brauereien übernommen. Ein schwieriges Unterfangen, denn die Herstellung von Bier ist ungleich schwieriger als die von Wein. Man muss sehr hygienisch arbeiten, sonst kippt das Bier. Und man hantiert mit Feuer, also auch nicht ungefährlich. Anfang des 15. Jahrhunderts wurde Braumeister zum Ausbildungsberuf, es gab eine Zunft und damit auch Normen und Regeln, die das Brauen sicherer machten.
Was war außer einer drohenden Feuersbrunst noch gefährlich?
Man arbeitete früher mit allerlei Geschmacksverstärkern, zum Beispiel mit dem Bilsenkraut oder der Tollkirsche. Wurde davon zu viel beigemengt, war die berauschende Wirkung enorm, mitunter wurde es auch schnell lebensgefährlich.
„Man arbeitete früher mit allerlei Geschmacksverstärkern, zum Beispiel mit dem Bilsenkraut oder der Tollkirsche. Wurde davon zu viel beigemengt, war die berauschende Wirkung enorm.“
Ein Grund für den Erlass des Reinheitsgebots?
Gewiss. Das Münchner Reinheitsgebot von 1487 ist ja, wenn man so will, das erste Lebensmittelgesetz der Welt. 1516 wurde es von Wilhelm IV. auf ganz Bayern ausgeweitet. Es verbannt alle Zusatzstoffe aus dem Bier und beschränkt die Zutaten auf Gerste, Hopfen und Wasser. Wer sich daran nicht hielt, der wurde schon mal im eigenen Bierfass ersäuft.
Zum Glück haben sich die Zeiten geändert.
Diese Form der Bestrafung gab es nur in der Zeit der Renaissance. Doch das Reinheitsgebot wurde erst mit der Gründung der Weimarer Republik auf ganz Deutschland ausgeweitet, das war eine Prämisse Bayerns. Erst 1987 wurde es mit einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs grundlegend gelockert. Das ermöglichte dann auch ausländischen Produzenten, die nicht nach dem deutschen Reinheitsgebot brauten, ihr Bier mit entsprechendem Hinweis hier in Deutschland als solches zu verkaufen.
Hatte man hier in München Angst, von „unreinen Bieren“ überschwemmt zu werden?
Allerdings – aber diese Angst war unbegründet, wie sich schnell herausstellte. Der Konsum aller Biere, die nicht nach dem Reinheitsgebot gebraut werden, macht immer noch weniger als ein Prozent aus.
Stichwort Bierkonsum: Wo in München ist eigentlich Ihr persönlicher Lieblingsplatz für eine schöne Maß Bier?
Ich liebe den Biergarten auf dem Viktualienmarkt. Die Kastanien, die plätschernden Brunnen, die ganzen Standl rundherum – das ist einfach idyllisch. Und es wird einem nie langweilig: denn das ausgeschenkte Bier ist immer wieder ein anderes.
„Die Maßkrugtresore im Hofbräuhaus: Hier haben etwa 450 Stammgäste gewissermaßen ein eigenes Schließfach für die individuell verzierten Maßkrüge – eine echte Liebhabergeschichte.“
Wie kommt's?
Der Viktualienmarkt und sein Biergarten werden vom Kommunalreferat der Landeshauptstadt München verpachtet. Natürlich wollte man von dieser Seite keine Brauerei bevorzugen oder benachteiligen. Und so werden die Biere der sechs großen Münchner Brauereien im Wechsel angeboten. Das sind Hofbräu, Löwenbräu, Hacker-Pschorr, Paulaner, Spaten und natürlich das beliebte Augustiner – also alle Brauereien, die auch auf dem Oktoberfest vertreten sind.
Wie läuft das konkret ab?
Im Keller unterhalb des Biergartens finden sich vier große Edelstahltanks, die jeweils 10.000 Liter fassen – wenn die ausgetrunken sind, kommt die nächste Brauerei zum Zug. Das dauert unterschiedlich lange, je nach Wetter und Durst der Touristen.
Biergärten gehören zu München wie die Frauenkirche oder der Marienplatz. Wie sind sie eigentlich entstanden?
Untergäriges Bier konnte früher nur im Winter gebraut werden und wurde dann in den Bierkellern eingelagert. Davon gab es zirka 50 Stück, die meisten am Isarhochufer in Haidhausen. Richtige Stollen waren das – die bis 15 Meter unter der Erde lagen. Irgendwann kamen die Brauereien auf die Idee, ihr Bier direkt dort zu verkaufen. Und weil Bier hungrig macht, wurde auch gleich eine Mahlzeit angeboten und verkauft.
„Die Tradition, seine Brotzeit von zu Hause mitzunehmen und im Biergarten zu verzehren, wird immer noch gelebt.“
Das muss den benachbarten Wirten nicht gepasst haben.
Richtig, denn die neuen Biergärten wurden schnell sehr beliebt. Um etwas Ausgleich in die Situation zu bringen, wurde ihnen untersagt, in eigener Küche zubereitete Speisen zu verkaufen. Nur selbst Mitgebrachtes oder Brot war erlaubt. Zwar gilt das heute nicht mehr. Aber die Tradition, seine Brotzeit von zu Hause mitzunehmen und im Biergarten zu verzehren, wird immer noch gelebt.
Wie viel Bier wird eigentlich im größten Bierpalast der Stadt, dem weltweit bekannten Hofbräuhaus, täglich konsumiert?
An Spitzentagen sind das schon mal 200 Hektoliter, also 20.000 Liter. So viel schafft man auf dem Viktualienmarkt nicht! (lacht)
Tilmans, Giesinger, Richelbräu – in München sind die Craft-Biere auf dem Vormarsch – wie stehen Sie zu diesem Trend?
Die neue Wertschätzung für handwerklich hergestellte Biere ist aus den USA zu uns herübergeschwappt. Die Biere schmecken toll und sind etwas teurer. Ich trinke sie eher zum Genuss – das ist ein bisschen wie mit dem Wein. Für den Durst bleibe ich gern bei den guten, süffigen und traditionellen Bieren aller alten und neuen Münchner Brauereien.
Welche Gäste buchen eigentlich die Touren? Gibt es da gewisse Tendenzen?
Oft führe ich Vereine oder Männergruppen aus ganz Deutschland. Und immer wieder habe ich auch Einheimische, die schon sehr vieles in ihrer Stadt kennen und sich dann noch der Bierkultur annähern wollen. Gewissermaßen dem i-Tüpfelchen in der Stadthistorie.
„Immer wieder habe ich auch Einheimische, die schon sehr vieles in ihrer Stadt kennen und sich dann noch der Bierkultur annähern wollen. Gewissermaßen dem i-Tüpfelchen in der Stadthistorie.“
Was sind die Stationen, die auf keiner Biertour fehlen dürfen?
Natürlich die Maßkrugtresore im Hofbräuhaus. Hier haben etwa 450 Stammgäste gewissermaßen ein eigenes Schließfach für die individuell verzierten Maßkrüge – eine echte Liebhabergeschichte. Und dann auch das Bier- und Oktoberfestmuseum – eines der ältesten Stadthäuser Münchens, das eine kleine, alte Weißbierbrauerei als Museumsstück beherbergt. Hier lässt sich der Brauprozess ganz anschaulich erklären.
Und sind nach den Touren eigentlich alle betrunken?
Das ist eher nicht das Ziel (lacht) – es ist keine Sauftour. Natürlich probieren wir auf Wunsch auch verschiedene Biere, manchmal sogar in Begleitung eines Biersommeliers. Aber in erster Linie geht es doch um die Münchner Biergeschichte. Was die Gäste allerdings nach den zwei Stunden machen, das bleibt jedem selbst überlassen (lacht).